Ich werde immer wieder mal gefragt, wie ich zu meiner Auffassung von der „richtigen“ Didaktik komme bzw. gekommen bin. Ich frag mich das auch immer wieder.
5.
Warum vertritt ein Philosoph genau die Philosophie, die er vertritt, und nicht eine andere? Ein Philosoph wird auf diese Frage mit den Vorzügen seiner Philosophie und mit den Irrtümern, Defiziten und Nachteilen der anderen Philosophie antworten.
Seine Antwort ist dabei immer eine Antwort im Nachhinein: Nicht als Realisten, Pragmatisten oder Konstruktivisten haben wir entschieden, welche Philosophie wir wo und bei wem studieren. Erst im Nachhinein, nachdem die Entscheidung für die Philosophie, die wir vertreten, längst gefallen ist, bedanken wir uns bei unseren akademischen Lehrer für ihren Einfluss auf unsere intellektuelle Entwicklung. Ein anderer Studienort, andere Lehrer, und schon wären wir vielleicht statt Analytische Philosophen Transzendentalphilosophen geworden oder umgekehrt.
An einer großen europäischen Universität florieren drei philosophische Schulen nebeneinander: eine phänomenologische, eine analytische und eine an Lacan orientierte Schule. Welcher Richtung sich Studentinnen anschließen, hängt auch davon ab, welche Sprache sie am Gymnasium gelernt haben (Englisch – dann eher analytische Philosophie, Französisch – dann eher lacanistisches Denken), wo und bei wem sie sich Informationen geholt haben, ob sie bereits andere Philosophiestudentinnen kennen, etc. etc.
Die Umstände, die dazu führen, dass ein Philosoph diese Philosophie vertritt und nicht jene, sind kontingent. Eigentlich müssten die Philosophen von Glück reden, dass sie die ‚richtige‘ Philosophie vertreten und nicht die ‚falsche‘.“Josef Mitterer, Die Flucht aus der Beliebigkeit, Frankfurt Fischers Taschenbuch Verlag, 2001, S.12
Was Mitterer über die Philosophen schreibt, gilt meiner Beobachtung nach auch für Fachdidaktiker in der Kunstpädagogik.
zweimal abgelehnt
Der entscheidende Schicksalsschlag war die zweimalige Ablehnung meiner Bewerbung für das Studium der Kunsterziehung an der Akademie der bildenden Künste in München im Herbst 1973 und Frühjahr 1974. Trotz intensiver Vorbereitung war es mir nicht gelungen, zur Aufnahmeprüfung zum Sommersemester 1974 zugelassen zu werden. Deshalb habe ich mich für die 2. beste Wahl entschieden, ein Lehramtsstudium für Deutsch mit Geschichte und Sozialkunde an der Uni München.
Germanistik
In den literaturwissenschaftlichen Proseminaren war damals der Strukturalismus angesagt, in den sprachwissenschaftlichen bin ich vor allem auf die Semiotik gestoßen. Ich habe ein literaturwissenschaftliches Proseminar zum Thema Trivialliteratur mitgemacht und meine Arbeit über Western geschrieben. Und wir haben Vorlesungen zur Erzähltheorie am Beispiel der Kinderfunks des Bayerischen Rundfunks gehört; Schwerpunkt „Meister Eder und sein Pumuckl“ bei Klaus Kanzog. Auch Sprachtheorie habe ich bei Theo Vennemann mit Begeisterung gehört. Anfang der 1970er gehörten Italowestern zu meinen Filmfavoriten.
Nach vier ernsthaft studierten Semestern habe ich dann noch einmal ein Sommersemester für den dritten Versuch investiert, an die Akademie zu kommen. Robert Jakobsen hat mich in seine „freie“ Bildhauerklasse aufgenommen. Parallel zur Bildhauerei hab ich Kunstpädagogik studiert und mit dem ersten Staatsexamen abgeschlossen. Mein abgebrochenes Germanistikstudium hat mich vergleichsweise theoretisch auf die Welt schauen lassen.
Daher resultiert mein Interesse für Medien- und Kommunikationstheorie und natürlich an der Semiotik.
Schweden
Anschließend bin ich mit einem DAAD-Stipendium nach Nordschweden gegangen und hab dabei leidlich Schwedisch und Anfang der 1980er Lars Vilks kennen gelernt. (hier ein Text von Vilks auf Deutsch)
Das hat mir einerseits schon sehr früh eine gewisse kritische Haltung zum Kunstsystem (art world) eingebracht. Durch Vilks bin ich sehr früh auf Danto und Dickie aufmerksam geworden. Die Sprachkenntnisse haben mir später den Zugang zur schwedischen Bilddidaktik ermöglicht, die pragmatischer ist als die mitteleuropäische und sich deutlich am Bild orientiert (Gert Z. Nordström). Hier sind die Bilder der Kunst nur ein kleiner Teil dessen, worum es im Fach Bild, wie es in Schweden heißt, geht.
Nach der Zeit in Schweden ist es nichts geworden mit der erhofften künstlerischen Karriere. Zum Glück für die richtige Bilddidaktik habe ich statt eines Jobs im Messebau eine Stelle als Referendar bekommen. Und bin Kunstlehrer geworden.
abgefallen
Die Wandlung vom Paulus zum Saulus war nicht plötzlich, sondern hat ziemlich lang gedauert, die Saat des Germanistikstudiums und der Kunstkritik von Vilks ist sehr langsam aufgegangen. Langsam ist aus einem Kunstgläubigen ein Bildenthusiast geworden.
Die Entwicklung lässt sich an meinen Publikationen ablesen.
Leute
Wichtig war sicher meine Tätigkeit an der Universität Paderborn neben Helga Kämpf-Jansen. Thesen im Zusammenhang mit dem Konzept ‚Ästhetische Forschung‘ von HJK
Dann kamen die Bücher und Ideen von Wolfgang Ullrich und Christian Demand und weitere, die mich in meiner Überzeugung bestätigten und mir viele Argumente lieferten.
Nische
Mit meiner Kritik an der Kunstorientierung – der größte Ausrutscher war eine LehrerInnenfortbildung, die ich unter dem Titel „Kunst verhindert guten Unterricht“ 2008 in Innsbruck angeboten habe – habe ich Aufmerksamkeit bekommen. Sie ist quasi ein bisserl zu meinem Markenzeichen geworden, entsprechend ist mein Fokus auf die Welt und die Kunst.
Die Aufgabe als Fachdidaktikprofessor an der Universität Mozarteum, das Fach von den SchülerInnen und der Gesellschaft her zu denken, hat das ihrige zu dieser Bilddidaktik beigetragen.
Franz Billmayer, 28.8.2012
geändert 3.5.2016