Austauschtest – Bedeutungen von Bildelementen untersuchen
Mit diesem Test lassen sich bedeutungstragenden Elemente von Bildern und Gestaltung erkennen und bestimmen. Er hilft auch bei der Bild- und Textgestaltung.
Bilder bestehen in der Regel aus mehreren oder vielen deutbaren Elementen, es handelt sich um zusammengesetzte Zeichen.
Der Austauschtest ist inspiriert von der Minimalpaar-Analyse aus der Phonetik. Er eignet sich dazu, zeichenhafte Elemente in Bildern zu unterscheiden und den Zusammenhang mit dem Sinn der Aussage zu erkennen.
Er ist sehr einfach durchzuführen.
Es werden einfach einzelne Elemente einer Kategorie gegen andere ausgetauscht. Dies kann lediglich in der Vorstellung passieren oder bei der praktischen bildnerischen Arbeit ganz konkret durch das Schaffen von Alternativen.
Beispiel
Als Beispiel hier diese Fotografie
Inhalt bzw. das Dargestellte
– Geschlecht: anstelle des Mannes eine Frau, welche Frau (Alter, Aussehen, Kleidung &c.)
– Alter: Wie verändert sich die Aussage, wenn der Mann Anfang 20 ist, wenn er über siebzig ist? Wo liegt demnach das ungefähre Alter des Mannes, welche spezifische Bedeutung hat es für die Bildaussage? Spielt es eine Rolle ob er 50 oder 40 Jahre alt ist?…
– Frisur/Haare: anstelle der dunklen gewellten Haare: glatte Haare, graue Haare, blonde Haare, Teilglatze, lange Haare, Kurzhaarschnitt, Glatze, Punkfrisur, Bart (Vollbart, Schnauzer, Dreitagebart)…
– Kleidung: Anstelle des Sakkos mit Fischgrätenmuster: Sweatshirt, weißes Hemd, Lederjacke, kariertes Hemd, T-Shirt, Smoking, Anorak, Mantel, Blaumann, Uniform, Hawai-Hemd, nackte Haut…..
– Körperhaltung: Stehen, sitzen, lehnen, liegen, gehen …
– Glas: anstelle des Weinglases: Zahnputzbecher, Wasserglas, Sektglas, Rotweinschwenker, Schnapsglas…. Was wenn er anstelle des Weinglases einen Hammer hält?
– Hintergrund: in einer Kirche, auf einer Wiese, vor einer Tapete, in einem Weinkeller ….
Medium/Machart
– Zeichnung, Malerei, Farbfotografie, Druck
– Farbigkeit: bunt, Grautöne, monochrom
– Darstellungsweise: Schärfe, Abstraktionsgrad, Licht, Konvention, technische „Brillianz“,
– Bildaufbau: Betrachterstandpunkt, Bildausschnitt
– Bildträger: Papier, Stoff, Holz, Bildschirm…
– Kontext: wann? wo? Größe ….anstelle einer Anzeige in einer Zeitschrift: in einem Schulbuch, in einer Brieftasche, in einem Museum, auf einem T-Shirt, auf einer Plakatwand….
Frage
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Anzahl und Trennschärfe der einzelnen Bedeutungseinheiten und der Verwendung des Bildes? Welche Rückschlüsse lassen sich aus diesem Verhältnis auf die Qualität von Bildern ziehen? (Je anfälliger für Bedeutungsveränderungen desto besser/schlechter?)
Die beabsichtigte Botschaft
Gewisse Abwandlungen verändern die Aussage weniger als andere.
Der Austauschtest kann zeigen, dass gewisse Entscheidungen des Senders wichtiger sind als andere, gewisse Elemente die Aussage stärker beeinflussen als andere.
Das Weinglas könnte in einer gewissen Bandbreite gegen andere Weingläser ausgetauscht werden, ohne dass sich die Bedeutung verändern würde, ein zwanzigjähriger Motorradfahrer – kenntlich an einer entsprechenden Kleidung – als Weintester würde die Aussage radikal verändern.
Das Selbstverständliche sehen
Das Selbstverständliche übersehen wir meist gerade wegen seiner Selbstverständlichkeit, wir halten es für gegeben, weil uns gar nicht auffällt, dass auch hier Interpretationen ablaufen und sich Weltsichten manifestieren, zu denen es Alternativen gibt. So eignet sich der Austauschtest auch gut dazu, die Weltsicht, die die Medien implizit vorführen (müssen, um verstanden zu werden), bewusst zu machen. Er ermöglicht es, das, was sich von selbst versteht, als eine mögliche Weltsicht zu sehen, zu der es Alternativen gibt.
vgl. hier zu Semiotische Arbeit
Originaler Kontext
Hier der Originalzusammenhang. Eine Werbung für System Bolaget. Die Botschaft, unsere Weine sind ausgesucht gut – Wir sehen hier einen „Weintester“ bei der Arbeit. Der „Witz“ ergibt sich zwischen dem Ausspucken und dem Wort AUSGESUCHT.
Der Weinexperte von Aldi Süd 2017 zeigt keinen Weintester, sondern einen Konsumenten, einen Weinkenner.
https://www.aldi-sued.de/fileadmin/fm-dam/products/product_teaser/2017/Meine_Weinwelt/SSB_Weinwelt_Weinexperte_228x174.gif (leider nicht mehr aktiv)
https://www.aldi-sued.de/fileadmin/fm-dam/products/product_teaser/2017/Meine_Weinwelt/KW0717_SSB_Weinwelt_Mann_228x360.gif
Tipp für den Unterricht
Einzelne oder einzelne Gruppen wenden den Austauschtest auf ein gegebenes Bild an.
Anschließend kann man diskutieren, welche Kategorien/Eigenschaften häufiger und welche seltener verwendet wurden. Welche Kategorien lassen sich noch finden?
Andere Anwendungsbereiche
Der Test lässt sich auf alle Bereiche anwenden, in denen Zeichen implizit oder explizit verwendet werden, nicht nur auf Erscheinungen, die als Zeichen konzipiert sind.
Beispiele
Kücheneinrichtung: wie ändern sich Bedeutung (oder Image des Besitzers), wenn eine Küche aus massivem Holz, aus Spanpaltten mit Echtholzfurnier oder mit Laminat besteht, was bedeutet es, wenn die Schränke offen sind oder Türen haben, wenn die Kochstelle frei steht oder in die Küchenzeile integriert ist; am Boden Fliesen, Holzbretter, Linoleum, Parkett, Laminat; Neonlicht oder Glühbirnen &c.
Kleidung: Anzug oder Pullover &c.
Autos: Marken, Farben, gewaschen,
Gärten: Rasen, Gartenmöbel, Accessoires, Pflanzen…
Häuser: Material, Bauweise, Fenster, Dach…
und und und und und und und und und und …
Der Austauschtest in der bildnerischen Praxis
Der Austauschtest eignet sich sehr gut bei der eigenen bildnerischen Arbeit, um Entscheidungsalternativen gewinnen zu können. Nur wer Alternativen hat, kann wählen und ist der eigenen Arbeit gegenüber frei, ist der Herr der Gestaltung, wer keine Alternativen hat wird zum Knecht seiner Einfälle.
Ein gegebenes Bild wird so genau wie möglich nachgestellt, dabei wir jeweils eine Komponente (Motiv oder Gestaltung) geändert.
Kleidung, Körperhaltung, sonstiges Motiv, Frisur, Accessoire, Kamerastandpunkt, Bildausschnitt, Beleuchtung, Farbe, Schärfe …
Differenz, Abstoßung
Das Netz der relationalen Verweise – dies hat die Semantiktheorie gezeigt – wird im Wesentlichen durch Differenzbildung, also durch Abstoßung, gebildet. Wir wissen, was ein Pferd ist, weil wir den Unterschied zu Kühen, Schafen (und Traktoren) sicher beherrschen.
Und ebenso für die Klischees und Stereotypen des Bilderdiskurses: Es ist nicht nur so, dass das jeweils aktuelle Material Unterschiede enthält (oder behauptet), es spielt immer auch auf bereits konventionalisierte Unterschiede an.
Gebunden an Differenzbildung und Unterschied sind Medien und Symbolsysteme Maschinen der Analyse.Hartmut Winkler: Basiswissen Medien (2008) S. 281
hier gehts zum pdf des Buches: https://homepages.uni-paderborn.de/winkler/Winkler–Basiswissen-Medien.pdf
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